Das Sonntags-Thema berührt die christlichen Kirchen unseres Landes selbstverständlich in besonderer Weise. Ich bin darum dankbar, dass Landesbischof Kreß und ich in die Eröffnung eingebunden sind. Die fortdauernden Diskussionen um den "verkaufsoffenen Sonntag" belegen aber zugleich, dass es um ein Thema von eminenter gesellschaftlicher Bedeutung geht.
Nach meiner Einschätzung vermittelt die Ausstellung einen guten Einblick in die wechselvolle Geschichte des Sonntags.
Wer um die Geschichte und um die Notwendigkeiten der Arbeitswelt weiß, wird der immer wieder aufkommende Diskussion um den Sonntag mit einer gewissen Gelassenheit begegnen. Er wird zugleich aber auch mit Entschiedenheit für den Sonntag eintreten, weil er einen unersetzlichen Gewinn an Humanität bringt.
Der Sonntag ist der Tag der Unterbrechung und der Distanz zum Alltag, Distanz zu den Selbstverständlichkeiten des ökonomischen Lebens, Distanz auch zu den eigenen Bedürfnissen. Distanz ist die Voraussetzung für Orientierung, Voraussetzung dafür, das Ganze in den Blick zu nehmen und Fragen nach dem Sinn des alltäglichen Handelns zu stellen. Ohne diese Distanz gibt es kein kritisches Denken, keine Freiheit und keine Selbstbestimmung. Der Sonntag gibt uns die Chance, unser Leben zu überdenken. Er gibt die Chance, wahrzunehmen, was in unserem Leben wirklich zählt, ob wir die Prioritäten richtig setzen und was wir gegebenenfalls ändern sollten. Am Sonntag kann dem Menschen bewusst werden, dass nicht alles machbar und das Machbare nicht alles ist.
Ohne Distanz zu den Dingen gibt es auch keine Kreativität und keine Innovation. Davon profitiert langfristig übrigens auch die Wirtschaft. Ökonomie setzt sich aus den griechischen Wörtern "Oikos" und "Nomos" zusammen. Das meint - in freier Ü;bersetzung - die Kultur des gemeinsamen Hauses, in dem wir alle leben und gerne leben sollen. Wohlstand ohne Wohlergehen ist unsinnig. Wohlergehen aber setzt eine gesamtgesellschaftliche "Gesinnungskraft" voraus, wie der frühere Bundespräsident Theodor Heuß gesagt hat. Diese Gestaltungskraft kann letztlich nur aus dem Zweckfreien erwachsen. Gerade der Verzicht auf kurzfristige ökonomische Nützlichkeit kann langfristig durchaus sehr nützlich sein. Ein kluger Modernisierer wird gerade um der Funktionstüchtigkeit des Marktes willen nicht alles dem Markt und der Marktlogik unterwerfen wollen.
Der Sonntag kann weiterhin der Tag des zweckfreien Miteinanders sein. Unsere Gesellschaft gibt dem Einzelnen viele Freiheiten und Wahlmöglichkeiten. Das ist durchaus zu begrüßen. Wir sind aber nicht nur Individuen, sondern auch soziale Wesen. Um wirklich frei zu sein, brauchen wir die Anerkennung der Anderen. Wir brauchen ihre voraussetzungslose und absichtslose Liebe. Ohne Freundschaft und ohne Familie kann kein Mensch leben. Aber Freundschaft und Familie brauchen Zeiten der Gemeinsamkeit, des Gesprächs, des Feierns und des Spielens. Ein Tag des zweckfreien Miteinanders kann der Sonntag nur sein, wenn er gemeinsam begangen wird. Darum sollten wir die Zahl derer möglichst klein halten, die an diesem Tag arbeiten müssen. Nur dann bleibt der Sonntag ein Fixpunkt der Woche.
Mit dem arbeitsfreien Sonntag setzen wir dem - generell sicherlich notwendigen - Markt und seinen Gesetzen Grenzen - Grenzen, die Freiräume für anderes als Produktion und Konsum schaffen. Sicher auch einen Freiraum für Gott und für den Gottesdienst, aber nicht nur. In der jüdischen Tradition heißt es: Der Sabbat ist ein Geschenk Gottes an die Menschheit. Auch für die, die keine Christen sind und sich als nicht religiös verstehen, ist der arbeitsfreie Tag wichtig. Ich weiß sehr wohl, dass es Menschen gibt, die am Sonntag erschrocken feststellen, dass sie mit sich und der freien Zeit nichts anzufangen wissen. Hier sind gerade wir Christen herausgefordert. Unsere Aufgabe ist es, eine Sonntagskultur zu entfalten, die den Freiraum positiv füllt und ansteckend auf unsere Mitmenschen wirkt.
Aus christlicher Sicht ist der Sonntag sicherlich noch mehr: Schon die ersten christlichen Gemeinden haben sich am Sonntag in der Frühe versammelt, um die Botschaft Jesu zu hören und sein Mahl zu feiern. Für die Christen war und ist der Sonntag der Tag der Auferstehung Jesu. Er ist ein österlicher Tag und - davon zeugen die romanischen Sprachen (1) - der "Tag des Herrn". Im Lobpreis des Schöpfers geht der Mensch über sich hinaus, überantwortet er sich und seine Zwecke einem Gegenüber. Der Sonntag eröffnet damit einen Lebensraum, in dem wir Gott erfahren können. Solche Freiräume für den Anruf Gottes sind wichtig.
Aus all? dem leite ich ein leidenschaftliches Plädoyer für den Sonntag ab. Der Sonntag muss immer wieder in seiner Unentbehrlichkeit für den Menschen verteidigt werden. Während der letzten zwanzig Jahre haben sich die Kirchen in ökumenischer Zusammenarbeit dieser Aufgabe zu stellen versucht. Das letzte der Gemeinsamen Worte war programmatisch "Menschen brauchen den Sonntag" (1999) überschrieben (2). Beim Einsatz für den Sonntag geht es zusammen mit "dem religiösen Gehalt immer auch um den Sonntag in seiner humanisierenden, sozialen Funktion und in seiner kulturellen Bedeutung" (Karl Kardinal Lehmann).
Die Ausstellung "Der siebte Tag. Geschichte des Sonntags" will Anstöße geben. Sie will uns anregen, über unser Verhältnis zum Sonntag und über unsere Sonntagskultur nachzudenken. Dafür möchte ich - auch im Namen von Landesbischof Kreß - Herrn Prof. Schäfer als Präsidenten des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland sehr herzlich danken. Er hat sich diese Ausstellung zu einem persönlichen Anliegen gemacht hat. Danken möchte ich auch Herrn Dr. Eckert als Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig und Frau Dr. Thiesen als Projektleiterin sowie allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie haben ein gesellschaftlich und kirchlich wichtiges Thema in die öffentliche Diskussion gebracht.
Anmerkungen:
1 Frz.: dimanche, it.: domenica, span.: domingo.
2 Vgl. die Gemeinsamen Erklärungen "Den Sonntag feiern", 1984, "Der Sonntag muss geschützt bleiben", 1985, "Unsere Verantwortung für den Sonntag", 1988 und "Menschen brauchen den Sonntag", 1999.