Aufbruch im Abschied

Elisabeth-Predigt des Würzburger Bischofs Friedhelm Hofmann auf der Wilhelmsburg


Bischof Friedhelm Hofmann
Elisabeth-Predigt des Würzburger Bischofs Friedhelm Hofmann auf der Wilhelmsburg

Liebe Schwestern und Brüder!


Wohl kein anderes Wort wird so häufig verwendet wie das Wort Liebe. Wohl kein anderes Wort wird so missverstanden und missbraucht wie das Wort Liebe. Dabei ist die Liebe Lebensgrundlage eines jeden Menschen. Keiner würde ohne die Liebe leben oder existieren können. Dennoch kann keiner das Wort Liebe definieren.


Als ich jung war, wurde landauf landab der amerikanische Film Love-Story gezeigt. Dieser Film kreiste um das Geheimnis Liebe. Viele Menschen waren tief berührt. Doch die Quintessenz des Filmes lautete am Ende: Liebe, das heißt, verzeihen können. Sicherlich ist das Verzeihen können ein wesentlicher Aspekt - aber die Erklärung dessen, was Liebe ist?


Liebe als Urgrund allen Seins und als die uns angelegte Sehnsucht nach Leben, ist im Grund nur mit Gott zu beantworten. Liebe und Gott sind zwei synonyme Begriffe, die beide austauschbar, aber nicht erklärbar sind. Es gäbe nicht das Weltall, es gäbe nicht den Menschen, es gäbe Dich und mich nicht ohne Gott, der die Liebe ist.


Immer wieder gibt es Menschen, die in ihrem Leben dieses unausdeutbare Geheimnis der Liebe ansichtig machen. Die hl. Elisabeth von Thüringen ist eine solche Frau. Hier in Schmalkalden, einem Ort, der durch die schmalkaldischen Artikel, der zweitwichtigsten lutherischen Bekenntnisschrift nach der Confessio Augustana, bekannt ist, und wo diese 1537 beraten wurden, um sie dem Papst auf dem Konzil von Mantua vorzulegen, hat sich wohl die hl. Elisabeth 1227 von ihrem Mann verabschiedet, der zum Kreuzzug aufbrach.


Es war eine turbulente Zeit, aufgewühlt durch die sozialen, politischen und religiösen Ereignisse. Mittendrin stand die hl. Elisabeth als eine Frau, deren ungestüme Kraft sich Bahn brach in eine innere Haltung der grenzübersteigenden Liebe.


In diesem Elisabethenjahr ist sehr viel über diese Heilige, in der vielleicht am deutlichsten das vom heiligen Franziskus aufgestoßene Liebesideal in Deutschland sichtbar wird, geschrieben worden. Nicht unerwähnt darf ihre Herkunft bleiben, die einige ihrer Charakterzüge besser verstehen lässt: Elisabeth wurde 1207 auf der Burg S?ros Patak in Ungarn geboren. Mütterlicherseits stammte sie aus dem Machtbewussten Geschlecht der Grafen von Meranien in Andechs, väterlicherseits von den kämpferischen ungarischen Arpaden ab. Als einjähriges Kind wird sie schon mit dem Landgrafen Ludwig von Thüringen verlobt, mit vier Jahren in ihre dortige zukünftige Heimat gebracht. Sie muss so ungestüm gewesen sein, dass man sie noch vor der Heirat mit vierzehn Jahren 1221 wieder nach Ungarn zurückschicken wollte. Doch sie wird eine vorbildliche junge Ehefrau und Mutter von Hermann, Sophie und Gertrud. Sie liebte ihren Mann aus ganzem Herzen. Dieses Familienglück währte nicht lange. Nach nur sechsjähriger Ehe begleitet sie ihren Mann schweren Herzens nach Schmalkalden und verabschiedet sich hier von ihm, ihrer großen Liebe.


Ludwig trennt sich von ihr und der Familie, um am Kreuzzug teilzunehmen. Es ist hier nicht der Ort, über die Kreuzzugsproblematik zu sprechen, die vielerlei Fragen aufwirft, aber sicherlich nicht isoliert von dem grausamen Geschehen der damaligen Zeit gesehen werden darf, denen die Christen nicht nur im Heiligen Land ausgesetzt waren. Landgraf Ludwig IV. von Thüringen wollte sich für eine gute Sache einsetzen und die Heiligen Stätten unter christlichen Einfluss bringen. Die geliebte Familie zu verlassen, bedeutete, auch auf das eheliche Glück zu verzichten.


Wir können heute nur mutmaßen, welche Opfer diese Eheleute brachten. Dass der Abschied hier in Schmalkalden ein Abschied für immer sein würde, konnte wohl keiner von ihnen ahnen. Elisabeth gab ihren geliebten Mann frei. Sie verzichtete auf das persönliche Glück um einer größeren Liebe wegen. Was das bei ihrem Temperament bedeutet hat, können wir nur ahnen.


Dieser Abschied bewegte auch die damalige Zeit. Viele Bilder und Lieder nehmen auf die tränenreiche Szene Bezug.


Schon am 11. September 1227 stirbt ihr Mann in Brindisi an einer Virusinfektion (Fieber). Sie trauert um ihn, "als gehe die Welt unter" schreibt Theodor Schnitzler (Schnitzler, Theodor: Die Heiligen im Jahr des Herrn. Herder 1979, 406.). Andere wissen zu berichten: Sie gebärdete sich "wie ein Mensch, der von Sinnen ist." Sie musste erkennen, dass es kein Abschied auf Zeit war, sondern für die Ewigkeit. Gerade erst hatte sie ihr drittes Kind Gertrud geboren.


Die heilige Elisabeth verfällt dennoch nicht in Resignation oder Depression. Sie hadert nicht mit Gott, der ihr das Liebste genommen hatte. Sie kämpft jetzt für die Gerechtigkeit. Ganz vom Geist des hl. Franz von Assisi beseelt, nimmt sie die Armen in den Blick. Auf keinen Fall will sie, dass deren Gut auf der Wartburg aufgebraucht wird.


Der Bruder ihres Mannes, Heinrich Raspe IV., ist inzwischen als Regent eingesetzt. Offensichtlich gerieten er und sein Bruder Konrad deswegen mit Elisabeth in einen Konflikt. Elisabeth löste ihn, indem sie freiwillig mit ihren Kindern im Winter 1227/28 die Wartburg verließ. Der Abschied von ihrem Mann wird zum Aufbruch einer umfassenderen Liebe.


Gemäß der franziskanischen Frömmigkeit hält sie sich unter den Armen auf. In der zweiten Ordensregel des hl. Franziskus ("regula non bullata") von 1221 heißt es: "Und die Brüder sollen sich freuen, wenn sie sich unter geringen und verachteten Personen, unter Armen und Schwächlingen, Kranken und Aussätzigen und Bettlern am Wege aufhalten. (?) Und sie dürfen sich dessen nicht schämen, sondern daran denken, dass unser Herr Jesus Christus (?) sich nicht schämte." (Kühn, Christoph: Vortrag Elisabeth von Thüringen - Frage auf eine Antwort, 03. Februar 2007) Ihre Tante, die Äbtissin Mechthild von Kitzingen, nahm die hl. Elisabeth nach einem Aufenthalt in Eisenach 1228 in die Benediktinerinnenabtei Kitzingen, im Bistum Würzburg, auf. (In diesem Frühjahr konnte dort mit einer neuen Gedenkplatte an diesen Aufenthalt erinnert werden.)


Elisabeth will nicht nur auf das Witwengut verzichten, dass ihr zusteht, sondern auch auf ihre Kinder. Sie leidet äußerlich Not. Als man ihr eine Abfindung zukommen lässt, rät ihr ihr Beichtvater Konrad von Marburg, den sie 1226 zu ihrem Seelenführer bestimmt hatte, nicht darauf zu verzichten, sondern es für die Armen zu verwenden. So setzt sie es zum Beispiel für die Stiftung des Hospitals in Marburg ein - wo das erste Franziskus-Patrozinium nördlich der Alpen errichtet wird.


Die radikale Neuentdeckung des Evangeliums und die damit verbundene Christusliebe des heiligen Franz von Assisi prägte auch ihr Leben. So wie Franziskus die Entäußerung des Sohnes Gottes in der Menschwerdung als ungeheuerlichen Liebesbeweis verinnerlicht hatte, so entfaltet die heilige Elisabeth auch nach dem Tode ihres Mannes ihre Liebeshingabe an Gott und den Nächsten.


Schon zu Lebzeiten ihres Mannes hatte die hl. Elisabeth die franziskanische Bewegung - etwa in der Eisenacher Niederlassung - gefördert. Jetzt aber war ihr Ziel die vollkommene Christusnachfolge in äußerster Armut und in Hingabe an die Ärmsten der Armen.


Unser Heiliger Vater Papst Benedikt XVI. hat bei seiner letzten Pilgerreise nach Mariazell in der Vesper auf den entscheidenden Grund der freiwilligen Ehelosigkeit und des Zölibates verwiesen: "Priester und Ordensleute leben nicht beziehungslos. Keuschheit heißt im Gegenteil ? intensive Beziehung, ist positiv Beziehung zum lebendigen Christus und von daher zum Vater. Deswegen geloben wir durch das Gelübde der ehelosen Keuschheit nicht Individualismus oder Beziehungslosigkeit, sondern wir geloben, die intensiven Beziehungen, deren wir fähig sind und mit denen wir beschenkt werden, ganz und vorbehaltlos in den Dienst des Reiches Gottes und so der Menschen zu stellen. So werden Priester und Ordensleute selbst zu Menschen der Hoffnung: Indem sie ganz auf Gott setzen und damit zeigen, dass Gott für sie Realität ist, schaffen sie seiner Gegenwart - dem Reich Gottes - Raum in der Welt." (Die Tagespost, 11.09.07, 7.)


Diese Gedanken führen in die Mitte der Konsequenzen der hl. Elisabeth, im Abschied den Aufbruch der unabdingbaren Gottes- und Nächstenliebe zu finden. Ihre aufopfernde Liebe in der Hingabe an die Amen, Kranken und Aussätzigen macht ihre innere Liebeshaltung zu dem gekreuzigten Heiland sichtbar.


Im Blick auf das Fest der Kreuzerhöhung, das wir am gestrigen Tag gefeiert haben, wird der innere Bogen von der unüberbietbaren Liebestat Gottes an uns zu der hl. Elisabeth geschlagen, die diesem Geheimnis der Liebe in ihrem eigenen Leben Raum und damit Sichtbarkeit verliehen hat.


"Liebe ist nicht nur ein Wort, Liebe das sind Worte und Taten" singen wir in einem singen wir in einem zeitgenössischen Kirchenlied. Möge uns das Beispiel der hl. Elisabeth ermutigen, tiefer in das Geheimnis der Liebe einzudringen. Amen.



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