Das Elisabeth-Gedenkjahr 2007 und die Anliegen des Bistums Erfurt
Ansprache auf der Pressekonferenz zum Elisabeth-Jahr am 27. Juni 2006 in Erfurt
Im Jahr 2007 werden wir des 800.Geburtsjahres der hl. Elisabeth gedenken. Vielen Menschen weit über Thüringen hinaus ist der Name der Thüringer Landgräfin Elisabeth ein Begriff.
Mit ihrem Lebenszeugnis verbindet sich die Erinnerung an tiefe Menschlichkeit, an Solidarität mit den Armen und ungewöhnliche Selbstlosigkeit. Auch in kommunistischer Zeit ist das Leben und Wirken dieser großen Frau bei Führungen auf der Wartburg durchaus respektvoll und mit Sympathie gewürdigt worden. Nächstenliebe und Empfinden für soziale Gerechtigkeit bleiben als Begriffe abstrakt. In Biographien werden solche Prinzipien konkret, bekommen sie im buchstäblichen Sinn ein "Gesicht".
Gedenkjahre für bekannte Persönlichkeiten sind dazu angetan, Biographien der Vergangenheit in ihre Zeit einzubetten und aus ihrer Zeit heraus zu verstehen. Wie könnte es auch anders sein, wenn man Zugang zu einer Person der Geschichte gewinnen will. In den Biographien der Heiligen, auch der hl. Elisabeth, begegnen uns manch befremdliche Dinge.
Man muss sie in ihrer Fremdheit stehen lassen. Aber es zeigt sich auch, dass hier jemand aus einem überzeitlichen Horizont heraus sein Leben und damit seine Zeit geprägt hat. Elisabeth ist nur zu verstehen, wenn man ihre Christusfrömmigkeit als Quellgrund ihrer Menschenfreundlichkeit zu würdigen weiß. Die Entschiedenheit, mit der Elisabeth den Weg der Christusnachfolge ernst nahm, ist eine Anfrage an das Christentum und die Gesellschaft heute.
Elisabeth hat Christus in den Ärmsten der Armen dienen wollen. Das Christentum verliert seine "salzende" Kraft, wenn es Nächstenliebe nicht mehr so zu motivieren weiß. Wir gedenken dieser großen Frau und Heiligen natürlich vor allem deshalb, weil sie unsere Bistumspatronin ist. Als 1994 das Bistum Erfurt (wieder)begründet wurde, sind ihm drei Patrone zugeteilt worden: Elisabeth, Bonifatius und Kilian – also Heilige mit einem lokalen Bezug zur thüringischen Landschaft (mit Verbindungeslinien nach Franken und Hessen). Das Elisabethjahr wird dazu beitragen, die Zusammengehörigkeit der Gläubigen im Bistum Erfurt zu festigen und zu vertiefen. Das ist freilich ein mehr äußerlicher Aspekt. Das zentrale Anliegen dieses Jahres könnte auf die Formel gebracht werden: An Elisabeths Lebenszeugnis tiefer Gott begreifen. Ich habe mit allem, was beim Elisabethjahr geschehen soll, ein zutiefst religiöses Anliegen. Ich möchte dies in drei Punkten entfalten.
Für den christlichen Glauben ist der innere Zusammenhang zwischen Gottes- und Nächstenliebe konstitutiv. Man könnte sogar zugespitzt sagen: Die Echtheit der einen Art von Liebe wird durch den konkreten Vollzug der anderen Art erwiesen. Es ist geradezu ein Kernstück der Verkündigung Jesu, dass er die schon im Judentum seiner Zeit bekannten Forderungen, Gott zu lieben und auch den Nächsten, vor allem dem Angehörigen des eigenen Volkes, miteinander verkoppelt (und nebenbei auch die Nächstenliebe auf den "fernen" Nächsten ausweitet). Die Beispielerzählung vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37) ist dafür eine gute Illustration. Bewusst wird hier der Samariter, also ein Nichtjude als Vorbild des richtigen Handelns vorgestellt. Mit den Stichworten unseres heutigen kirchlichen Lebens könnte man sagen: Beten und Caritas gehören zusammen. Es gibt keine Caritas, die nicht aus der Gottesverehrung erwächst und auf sie zielt, und es gibt keine religiöse Innerlichkeit, die nicht auch das Heil des anderen mit im Blick hat, und zwar nicht nur sein Seelenheil. - Hier wird erkennbar, welche Herausforderung sich uns als Christen stellt. Mein Anliegen wäre, diesen notwendigen Zusammenhang zwischen Frömmigkeit und Nächstenliebe wieder tiefer ins Bewusstsein der Gemeinden zu heben. Eine Glaube, der nicht liebt, führt sich selbst ad absurdum. In einer Welt, in der religiös motivierter Terrorismus Angst und Schrecken verbreitet, ist diese Einsicht sehr aktuell.
Mein zweites Anliegen erwächst aus der soeben genannten Einsicht. Das Gedenkjahr soll uns veranlassen, mit den Augen der hl. Elisabeth auf unsere Zeit und ihre Nöte zu schauen. In Kurzform: Die beste Form des Gedenkens an die hl. Elisabeth ist – das genaue Hinschauen. Unsere Zeit hat andere Nöte und Herausforderungen als jene des mittelalterlichen Feudalstaates, in dem Elisabeth zur Hocharistokratie gehörte. Was Elisabeth von ihren Standesgenossen unterschied, war ihre Bereitschaft, angesichts des Elends ihrer Zeit nicht wegzuschauen.
Um genau dieses Anliegen wird es uns auch in diesem Jahr gehen: Hinschauen, möglichst genau und konkret. Es gilt, die Nöte unserer Zeit beim Namen zu nennen. Dazu wollen wir die Gemeinden sensibilisieren, unsere katholischen Verbände und Gemeinschaften, aber auch die Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch die Politik.
Und daraus erwächst das dritte Anliegen: Aus dem Hinschauen soll und muss ein Handeln werden. Das wird in vielen Fällen nur zeichenhaft und beispielhaft sein können, aber das wird nicht ohne Wirkung bleiben. Unsere Gesellschaft braucht mehr als Gerechtigkeit. So notwendig diese auch ist – auf dem Fundament der Gerechtigkeit braucht unser gesellschaftliches Haus auch Barmherzigkeit und Solidarität für jene, die allein nicht mit dem Leben zurecht kommen. Gerade im Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen gilt es, der gesellschaftlich anzutreffenden Kälte zu widerstehen und Räume zu bewahren und auszubauen, in denen der Mensch Zuwendung und Wärme empfangen kann.
Zusätzlich möchte ich gern noch ein Anliegen nennen, das sich mit dem Gedenkjahr an die aus Ungarn stammende Heilige Thüringens verbindet: die Stärkung europäischer Zusammengehörigkeit. In der Zeit des wieder zusammenwachsenden Europas gewinnen die Heiligen der europäischen Geschichte eine neue Bedeutung. Sie haben auf ihre Weise vorweggenommen, was die Völker Europas mit dem Prozess der EU-Erweiterung hoffentlich neu gewinnen können, nämlich "Europa eine Seele zu geben" (nach einem Wort von Jacques Delors). Ich erinnere nur an solche Gestalten wie den hl. Martin, die hl. Radegunde oder den hl. Bonifatius, die als "Heilige mit europäischem Zuschnitt" in Thüringen sehr verehrt werden. Der Geist und das Lebenszeugnis der hl. Landgräfin Elisabeth gehört mit in das Fundament eines neuen, geeinten Europa. Darum werde ich gern Gäste aus den Nachbarländern zu unseren Veranstaltungen einladen – und auch die Gläubigen ermuntern, in diesem Jahr nicht ohne Gäste zu bleiben.
Das Elisabeth-Gedenkjahr 2007 und die Anliegen des Bistums Erfurt