Von Bruder Heribert Arens ofm, Hülfensberg/Eichsfeld*
Sie sind Zeitgenossen, Elisabeth von Thüringen und Franziskus von Assisi. Franziskus ist 25 Jahre alt, als Elisabeth 1207 geboren wird. Er stirbt 1226 im Alter von 44 Jahren, Elisabeth fünf Jahre später 1231 im Alter von 24 Jahren. Sie leben in verschiedenen Ländern, sind aber beide Kinder der gleichen Zeit. Schon daraus ergibt sich manche Verwandtschaft zwischen beiden, zumal beide von einer ähnlichen Christusliebe geprägt sind. Beide sind mit einer großen Zahl von Armen in ihrem gesellschaftlichen Umfeld konfrontiert. Beide begegnen Aussätzigen, denen sie sich zuwenden – nicht nur um sie zu pflegen, sondern um ihnen menschliche Nähe und Wertschätzung zu zeigen. Beide haben ein großes Gespür für Geschwisterlichkeit unter den Menschen. Und wie gesagt sind beide geprägt von einer auch emotional tiefen Gottes- und Christusliebe, die Antrieb für ihre Lebensgestaltung ist.
Elisabeths Gatte Ludwig hat den strengen Konrad von Marburg als geistlichen Führer. Elisabeth trifft eine andere Wahl – jedenfalls zunächst. Sie ruft die Franziskaner nach Eisenach. Sie ist berührt von der schlichten Art, wie die Brüder des Franziskus das Evangelium leben – so konsequent, dass nicht einmal der strenge Konrad von Marburg an ihnen etwas aussetzen kann. Sie nimmt sich den Franziskaner Bruder Rüdiger als geistlichen Berater. Dieser erzählt ihr viel von Franziskus, dem kleinen Armen aus Assisi. Elisabeth fühlt sich zur Spiritualität dieses Mannes hingezogen. Was sie über ihn erfährt, ist für sie nicht total neu, vielmehr ist es eine Vertiefung dessen, was in der jungen Frau an Jesusliebe schon längst lebendig ist (Lang). In dieser Zeit beginnt sie ihre ausgeprägte soziale Natur zu entfalten. Während Ludwig in Meißen Krieg führt, baut sie unterhalb der Wartburg ein Hospiz für Aussätzige, die sie auch eigenhändig pflegt – wie es Franz von Assisi in Monte Casale und an anderen Orten tut.
Mit Unterstützung ihres Ehemanns gründet sie in Gotha ein Hospiz, das die vielfältigen Nöte in Stadt und Umgebung auffängt: ein Bett für Kranke, ein Dach für Obdachlose und Pilger, Milch und Windeln für ausgesetzte Kinder, ein Zuhause für Waisen, Blinde, Narren, einsam Betagte, verstoßene Frauen und Verarmte. Gerade einmal 16 Jahre ist sie zu dem Zeitpunkt alt. Ja, sie ist Franziskus sehr nahe. Er, der erfüllt ist von der Idee, das Evangelium mit Leben zu füllen, hat als Sohn eines reichen Kaufmanns die gleiche Aufmerksamkeit und Liebe für die Ausgesetzten und die Armen. Eine Umarmung und ein Kuss mit einem Aussätzigen verändern sein Leben. Er tauscht den Reichtum seines bürgerlichen Vaters mit dem Gewand der Armut, tauscht die irdische Vaterschaft des Pietro Bernardone gegen die des Vaters im Himmel ein: "Jetzt sage ich nur noch Vater im Himmel." Mit diesen Worten gibt er seinem Vater sein letztes Hemd zurück.
Elisabeth kann und muss sich nicht von einem Vater trennen. Den hatte sie schon bei ihrer Verkupplung mit vier Jahren verloren. Sie kann den Reichtum der Wartburg für die Armen nutzen, solange Ludwig lebt. Als der gestorben ist, verlässt sie die Wartburg und wird in Marburg Schwester der Armen. In der Kapelle der Franziskaner in Marburg legt sie ein feierliches Gelübde ab, lässt sich die Haare abschneiden und lässt sich von Konrad von Marburg in ein graues Büßergewand kleiden.
Dieses Büßerkleid übernehmen auch Guda und Isentrud, ihre Freundinnen. Die drei bilden die Zelle einer kleinen, schnell wachsenden geistlichen Gemeinschaft, die im gleichen Geist wie Franz von Assisi lebt und für die Armen da ist. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass sie ihre Gemeinschaft und ihr Hospiz unter das Patronat des Franz von Assisi stellen.
Auch das Gebet, das Elisabeth bei diesem feierlichen Gelöbnis spricht, ist dem Poverello aus Assisi sehr nah: "Gott hat mein Gebet erhört, und ich werde von nun an auf alle Güter dieser Welt, die ich bis heute geliebt habe, verzichten. Gott ist mein Zeuge. Ich bin nicht mehr länger nur noch die Mutter meiner Kinder, sondern ich werde sie lieben, wie ich meine Nachbarn liebe. Ich habe sie Gott anvertraut, damit er über sie verfüge, wie es ihm gefällt. Ich zürne denjenigen nicht, die mich verleugnen und verachten, denn Gott ist meine ganze Liebe." Franziskus sagte sich von seiner Verwandtschaft, insbesondere von seinem Vater los, der Seinem Nachfolgeweg zu verhindern suchte. Elisabeth löst sich ebenfalls von ihrer Familie, von ihren Kindern, indem sie sie einreiht in der Zahl der vielen, für die sie dasein will.
Ihre größte Liebe ist wie für Franziskus Gott selber. In Umbrien, Thüringen und Hessen bekommt das Evangelium ein neues Gesicht, wird Christus an zwei Gestalten für die Menschen sichtbar, so sehr, dass der erste Biograph über Franziskus schreibt: Er war wie ein zweiter Christus". Ähnliches zeichnet die Gestalt der Elisabeth in Thüringen und Hessen. "Eli-schäba" – "Mein Gott ist Fülle" heißt Elisabeths Name übersetzt. Sie hat ihr Leben in solcher Fülle gelebt und weiter geschenkt, dass es nur 24 Jahre dauerte und doch Menschen über viele Jahrhunderte berührt und bewegt: Eine Frau, die in maßloser Liebe zeitlos bekennt: Eli-schäba – Gott ist Lebensfülle ! (Kuster)
Hintergrundliteratur:
Justin Lang ofm, Elisabeth von Thüringen.
Benzinger Verlag: Zürich, Einsiedeln, Köln 1983
Justin Lang ofm, Elisabeth von Thüringen. "Mein Gott ist die Sieben". Sadifa Media Verlags GmbH: Kehl am Rhein 2006.
Niklaus Kuster ofmcap, Elisabeth von Thüringen. Biographie in 5 Etappen. Unveröffentlichtes Manuskript.
*Bruder Heribert Arens, geb. 1942 in Werl, ist Mitglied des Franziskanerordens und lebt seit 2001 im
Franziskanerkloster auf dem Hülfensberg im thüringischen Eichsfeld, wo er als Seelsorger, Wallfahrtsleiter
und Exerzitienbegleiter tätig ist.